Koboldland

Karottenkuchen zum Frühstück
Eine Hase & Drache-Geschichte von Simon Heese

Es waren einmal ein Hase und ein Drache. Die beiden waren allerbeste Freunde und lebten in einem Baumhaus im Wald. Aber das Baumhaus war nicht wie sonst, so ein kleines Bretterhaus, das jemand auf einen Baum genagelt hat. Es war ein Haus, das ein Baum war. Also eher ein Hausbaum. Oder Baumhausbaum. Ein Hausbaum-Baumhaus. Ihr versteht schon. Jedenfalls hatten der Hase und der Drache ihre Wohnung in dem Baumhaus. Mit Wohnzimmer, Schlafzimmern und Küche. Ein Bad hatten sie natürlich auch, wobei nur der Hase gerne badete, der Drache nicht so. Er sagte immer, dass seine roten Schuppen besser aussehen, wenn sie etwas Patina haben. „Patina“ bedeutet, dass etwas alt und dreckig ist, aber man findet das schick so. Das Klo hatte auch Patina, war aber nicht in der Wohnung, sondern vor dem Baumhaus. Es war ein Plumpsklo. Ein Plumpsklo ist eigentlich nur ein Loch im Boden mit einem Brett drüber, damit man sich über das Loch setzen kann. Für etwas zusätzliche Privatsphäre baut dann früher oder später noch jemand ein paar Holzwände und eine Tür um das Loch herum. Und damit die Zeitung nicht nass wird, wenn man gemütlich Sitzung hält, während es regnet, gibt es noch ein Dach. So ein Klo hatten der Drache und der Hase. Aufs Klo ging der Drache sehr gerne. [1]

Jetzt wisst ihr, wo die beiden wohnen, und die Geschichte kann losgehen. Aufgepasst!

Eines Morgens machte der Hase gerade Frühstück: „Auf was hast du Lust, Drache?“, fragte er. „Haben wir noch Möhrenkuchen von gestern?“, fragte der Drache zurück. Der Hase schüttelte den Kopf: „Nein, leider nicht. Sollen wir frischen backen?“ Der Drache grinste: „Klar!“

Der Hase hätte wirklich sehr gerne Karottenkuchen für seinen Freund gebacken, ging aber nicht, denn das Mehl war alle. Und die Möhren auch. Milch war da, aber nicht genug für Kuchen und einen Frühstückskakao. Die Butter im Kühlschrank war nicht mehr wirklich gut und Eier hatten sie auch keine mehr. „Also, wir haben noch Zucker. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: die anderen Zutaten fehlen alle“, sagte der Hase. Den Drachen konnte so was nicht schrecken: „Kein Problem, dann besorgen wir welche!“

Gesagt, getan. Der Hase putzte noch schnell die Zähne und schnappte sich dann seinen Rucksack. „Nehmen wir das Fahrrad?“, fragte er. Was für eine Frage. Natürlich nahmen sie das Fahrrad, was denn sonst?


Wenn der Hase und der Drache Fahrrad fuhren, teilten sie sich die Arbeit. Die Beine vom Hasen waren nämlich nicht lang genug, um an die Pedale zu kommen. Also wirklich kurz waren seine Beine eigentlich nicht, immerhin war er ein Hase. Hasen sind super Läufer und haben für ihre Größe ziemlich lange Beine. Aber super Radfahrer sind sie nicht. Dafür sind sie dann doch zu klein. Zum Glück hatte der Hase den Drachen als Freund. Der Drache war schön groß und kam ohne Probleme an die Pedale und an den Lenker auch. Vermutlich fragt ihr euch jetzt, was der Hase dann gearbeitet hat, wenn der Drache schon strampelt und lenkt. Ganz einfach: Der Hase sagte, wo es lang geht. Er war also der Navigator. Das ist eine große Verantwortung, weil wenn man falsch abbiegt, muss man einen Umweg fahren. Dann müsste der Drache noch mehr strampeln und wäre danach noch viel müder. Zum Glück war der Hase ein sehr guter Navigator und sie verfuhren sich so gut wie nie.

„Okay, zuerst brauchen wir Mehl!“, rief der Hase, „Fahr los, zur Mühle.“ Den Weg zur Mühle kannte der Drache selbst. Aber weil es etwas bergab ging, war es schon okay, dass der Hase nichts zum Arbeiten hatte. „Mach etwas langsamer, wenn der Weg gleich ruck-ck-el-l-l-l-ig-g-g wi-i-r-d!“ sagte der Hase. „Oka-ay. Aber halte dich trotzdem gut fest“, sagte der Drache und machte etwas langsamer. Bald darauf kamen sie an der Mühle an. „Warte du beim Fahrrad, ich hol’ das Mehl“, sagte der Drache. „Gut, mach’ ich.“ Der Hase wartete und schaute einem Schmetterling zu, der schon gefrühstückt hatte und jetzt mit dem Brunch anfing. „Du Hase“, sagte der Drache, der wieder rausgekommen war, „ich hab vergessen, Geld mitzunehmen.“ „Oh weh, dann werde ich halt zahlen. Kein Problem.“ Der Hase ging das Mehl bezahlen, dann setzten sie sich wieder auf das Fahrrad und es ging weiter. „Als Nächstes zum Bauern. Bieg am besten gleich links ab, das ist kürzer so herum.“ „Okay.“ Der Drache hatte schon richtig Hunger auf den Kuchen und fuhr deswegen wieder etwas schneller. „Halt dich gut fest!“, rief er.


Beim Bauern gingen sie zuerst auf den Karottenacker. Der Hase kannte sich sehr gut mit Gemüse aus, besonders mit Karotten, denn er war Vegetarier. Was den Drachen auch zu einer Art Vegetarier machte. Jedenfalls suchte sich der Hase ein paar Karotten, die optimal für Kuchen geeignet waren, während der Drache wartete. „Du könntest schon die Milch holen. Ich zahl’ dann nachher alles zusammen“, schlug der Hase vor. „Gut, mach ich“, sagte der Drache und ging zum Bauernhaus.

Im Bauernhaus fand er auch gleich die Bäuerin. „Hallo!“, sagte er, „Ich brauche zwei Flaschen Milch, bitte.“ „Oh, sorry, ich habe gerade die letzte verkauft“, sagte die Bäuerin. Der Drache wurde blass: „Was?!? Oh nein, aber wir brauchen welche für den Kuchen und den Kakao!“ Die Bäuerin sah, dass es dem Drachen wirklich wichtig war. „Na, wenn das so dringend ist, kannst du gerne auf die Weide gehen und noch welche holen“, schlug sie ihm vor. „Äh, gut. Klar. Mach’ ich!“, sagte der Drache verunsichert, „die Wiese ist da lang?“ Die Bäuerin nickte. „Ja genau. Vergiss nicht den Eimer mitzunehmen.“ Der Drache nahm den Eimer und ging raus auf die Wiese. Dort standen die Kühe und frühstückten Gras. Manche hatten auch noch Abendessen von gestern. Kühe sind nämlich Wiederkäuer. Das heißt, sie essen jede Mahlzeit mehrmals. Es kann also sein, dass eine Kuh Frühstück, Mittagessen und Abendessen auf einmal kaut. Bei den meisten anderen Leuten wäre das ein ziemliches Durcheinander und würde vermutlich nicht zusammen schmecken. Bei Kühen geht das, weil sie immer nur Gras fressen. Das passt zu allem. Also zu allem anderen Gras. „Na, schmeckt’s?“, fragte der Drache. Er war etwas nervös und wollte die Stimmung lockern. Die Kuh schaute ihn nur an und kaute weiter. „Sieht so aus …“, sagte der Drache. „Sag mal, kann ich etwas Milch haben?“ Die Kuh kaute. „Äh ... bitte?“, der Drache verzweifelte langsam. Kau, kau. „Hier, ich hab auch den Eimer …“ Kau, kau, kau. Der Drache wusste nicht, was er jetzt machen sollte.

Von weitem sah der Hase, wie der Drache sich mit einer Kuh unterhielt und dabei furchtbar mit den Armen fuchtelte. Der Hase hatte gerade die letzte perfekte Karotte gefunden und wollte eigentlich schon zum Bauernhaus gehen. Aber weil der Drache immer hilfloser mit den Armen wedelte, ging der Hase erst einmal zu ihm.

„Was machst du da, Drache?“ „Ich hole Milch!“ „Und wie machst du das?“, erkundigte sich der Hase. Der Drache war schon etwas genervt: „Mit dem Eimer natürlich! Aber die Kuh gibt keine Milch her. Die kaut nur die ganze Zeit!“ „Also du weißt schon, wo die Milch her kommt, oder?“ „Klar!“ „Ja?“ „Ja! Von der Kuh! Deswegen stehe ich ja hier vor ihr.“ Der Hase kicherte: „Gib mir mal den Eimer, bitte. Ich zeig dir einen Trick.“ „Hier! Bin gespannt, ob du das besser kannst“, sagte der Drache schnippisch. Der Hase konnte es besser. Er stellte den Eimer unter das Euter der Kuh und begann sie zu melken. „Guck, Drache, so macht man das.“ Der Drache schaute nicht schlecht. Sonst kaufte er die Milch immer in Flaschen. Es war das erste Mal, dass keine mehr da war und die Bäuerin ihn auf die Wiese geschickt hatte. Offenbar war es dem Hasen schon öfter passiert, denn er wusste genau was er machte und hatte schon den halben Eimer voll. „Soo, ich denke, das reicht“, sagte er. „Danke Frau Kuh! Und weiter noch guten Appetit beim Mittags-Früh-Abendessen.“ Die Kuh schaute ihn an und kaute.

Sie gingen zurück zur Bäuerin, die die Milch in zwei Flaschen abfüllte. „Braucht ihr sonst noch was?“, fragte sie. „Noch Eier bitte“, antwortete der Hase. „Soll ich welche von den Hühnern holen?“, bot der Drache an und schwenkte den Eimer. „Nicht nötig, ich hab noch welche hier“, sagte die Bäuerin. „Uff, so ein Glück!“ Der Drache war sehr erleichtert. Er hätte nämlich nicht gewusst, wie er den Eimer unter so ein Huhn bekommen soll. Die beiden bezahlten, bzw. der Hase bezahlte, weil der Drache ja sein Geld vergessen hatte. Dann fuhren sie zurück. Natürlich ganz vorsichtig, wegen der Eier.


Zu Hause angekommen, gingen beide direkt in die Küche.[2] Der Drache nahm die große Schüssel und schüttete das Mehl hinein. Der Hase holte den Zucker aus dem Schrank. „Nicht zu viel Zucker, ich werde sonst zu dick“, sagte der Drache. Der Hase gab ein wenig Zucker zum Mehl und ein Stück Butter. Der Drache rührte schon eifrig und der Hase wollte gerade die Milch in die Schüssel schütten, da hörten beide ein leises Schluchzen. In der Küchenecke lag eine lila Katze und weinte. „Wie kommst du hier her? Und wieso weinst du?“, fragte der Drache besorgt. Die Katze schaute ihn mit verheulten Augen vorwurfsvoll an: „Vorhin hattet ihr keine Butter mehr und gekauft habt ihr auch keine!“ „Ja und?“, sagte der Hase verwirrt, „Wo ist das Problem?“ „Du hast gerade Butter in die Schüssel gemacht! Aber eigentlich hast du gar keine mehr!“ Die Katze war wirklich sehr unglücklich. „Wir hatten die Butter vergessen, stimmt. Aber wir haben es noch gemerkt und haben uns welche bei unserer Nachbarin, der Eule, geliehen“, sagte der Hase. „Und woher soll man das wissen? Ich dachte, ihr habt das einfach vergessen und die Geschichte geändert!“, die Katze war ziemlich beleidigt. „Was für eine Geschichte?“, der Hase war verwirrt. „Ach egal! Passt einfach das nächste Mal besser auf“, sagte die Katze und sprang durchs Küchenfenster nach draußen. „Alter, was war das denn?“, fragte der Drache. Der Hase zuckte mit den Schultern: „Ich glaube, es geht darum, dass man keine Zutaten vergessen soll.“ „Ja, das hat sie ja gesagt. Aber wieso war die lila?“ „Keine Ahnung.“[3]

„Okay, zurück zum Kuchen“, der Drache hatte echt Hunger. „Milch!“, sagte der Hase und goss sie in die Schüssel. „Kannst du rühren und dann die Eier dran machen? Ich reibe so lange die Karotten.“ Natürlich konnte der Drache das: „Ja, gut“, sagte er. Ihm war bewusst, wie wichtig die Karotten dem Hasen waren. Und sein Freund konnte wirklich die weltbesten Karottenschnitze reiben, die man für Karottenkuchen haben kann. Also rührte der Drache den Teig und ließ den Hasen die Karotten reiben. „Sollen wir wieder etwas Zimt dran machen?“, fragte der Drache. „Au ja!“ „Okay … und Chili?“ „Was?!?“ Der Drache lachte: „Hahaha, war nur Spaß!“ Es war wirklich nur Spaß — wobei, der Drache mochte es schon sehr gerne, wenn das Essen richtig scharf war. Das ist gut fürs Feuer, wie seine Oma immer gesagt hatte. Allerdings durfte der Drache so gut wie nie Feuer spucken. Das kommt davon, wenn man mit seinem Hasenfreund in einem Wald lebt. Da ist Feuermachen strengstens verboten. Waldbrandgefahr. Das wusste der Drache und ihr jetzt auch. Niemals im Wald Feuer spucken, ja?

Die Karotten waren nun fein gerieben und der Teig schön glatt und zimtig. Vorsichtig gab der Hase die Karotten in die Schüssel und der Drache hob sie noch vorsichtiger unter den Teig. Dann füllten sie den Karottenkuchenteig in die Form und schoben sie in den Ofen. 180 Grad, aber man muss warten, bis er gebacken ist. „Wollen wir eine Runde Karten spielen, solange der Kuchen im Ofen ist?“, fragte der Hase. „Au ja, aber nicht schummeln!“, sagte der Drache. „Mach’ ich nicht. Und wir sollten noch den Kakao machen. Ich hab das Gefühl, dass ansonsten diese lila Katze wieder auftaucht.“

Anmerkungen

  1. Wegen Händewaschen braucht ihr euch keine Sorgen machen. Der Drache war jetzt nicht wirklich schmutzig oder so. Er badete nur nicht gerne. Ansonsten hatte der Hase ihn schon erzogen. Hatte aber gedauert.
  2. Habt ihr aufgepasst? Was ist mit Händewaschen? Hallo? Naja, haben die beiden bestimmt gemacht, oder?
  3. Was der Drache und der Hase nicht wussten, die lila Katze war eine Metakatze. Metakatzen leben auf der Metaebene und interessieren sich sehr für Geschichten. Sie passen auf, dass alles richtig ist in der Geschichte und manchmal müssen sie dann auch was sagen. Zum Beispiel, wenn man einfach etwas verändert oder vergisst.